Über meinen Job
Eine Momentaufnahme
Ich hatte heute einen rabenschwarzen Tag bei der Arbeit, schwärzer als schwarz. Und er war nicht so schwarz, weil mich jemand kritisiert hätte oder ich einen Fehler gemacht hätte oder mir jemand blöd gekommen wäre – ganz im Gegenteil. Ich habe alles richtig gemacht.
Aber vielleicht von vorn. Ich hatte es hier noch nie so richtig erwähnt, warum auch. Nachdem ich dreieinhalb Jahre bei einem Elternstadtmagazin gearbeitet hatte, bin ich seit letztem Frühjahr „Sozialpädagogin“. „Sozialpädagogin“? Wie kann das denn sein? Hatte sie nicht Literaturwissenschaft studiert? Ja, hatte sie.
Doch plötzlich bin ich „Sozialpädagogin“. Ich sitze „bei den Sozialpädagoginnen“. Ich bin die, zu der Schüler*innen gehen, wenn sie „zur Sozialpädagogin“ gehen sollen. Und im schlimmsten Fall bin ich auch „die Sozialpädagogin“, die psychologische Erstberatung machen soll, wenn zum Beispiel ein Schüler während einer Prüfung zusammengebrochen ist. Das sind die schlechten Tage in meinem relativ neuen Job.
An den guten Tagen läuft es gut, Praktikums- und Ausbildungsplätze suchen und dafür Bewerbungsunterlagen zu erstellen klappt auch problemlos mit einem Literaturwissenschaftsstudium.
Im Februar habe ich mich um ein Mädchen gekümmert, das sowohl die Gemeinschaftsschule als auch ein regionales Bildungszentrum ohne Schulabschluss verlassen hatte und nun – mit neunzehn Jahren – in Teilzeit bei McDonald’s arbeitet. Sein großer Traum war es, Friseurin zu werden. Nicht leicht, so ganz ohne Schulabschluss.

Selten passten die Nachrichten so gut zu meinem Arbeitstag.
Also habe ich mich reingehängt. Habe alles in Erfahrung gebracht, was man tun kann, wenn jemand ohne Schulabschluss Friseurin werden möchte. Habe telefoniert ohne Ende, mit der Arbeitsagentur, mit Friseuren, mit der Handwerkskammer, mit dem Mädchen. Habe es zum Vorstellungsgespräch begleitet, um es zu unterstützen, mental und praktisch.
In den zwanzig Minuten, die wir vor dem Vorstellungsgespräch gemeinsam Kaffee tranken, erfuhr ich, dass das Mädchen keinen Schulabschluss gemacht hatte, weil sein damaliger Verlobter sagte, es solle nicht so oft in die Schule gehen. Doch der sei jetzt zum Glück nicht mehr da und es bedauere den fehlenden Abschluss sehr. Jetzt sei alles anders. Es wolle unbedingt Friseurin werden und bloß nicht sein Leben lang bei McDonald’s arbeiten. Ich sagte, dass die Ausbildung wirklich hart werden würde, aber dass sie auch eine einmalige Chance sei. Das Mädchen war aufgeregt. Ich auch.
Das Gespräch lief für uns beide unerwartet locker, es gab keine unangenehmen Fragen nach dem fehlenden Abschluss, sogar den Nebenjob bei McDonald’s durfte es behalten, montags sollte sein freier Tag sein. Start: 01. März, 8:00 Uhr.
Heute ist der 02. März. Um 8:30 klingelte mein Telefon im Büro, während ich mich gerade mit einer echten Sozialpädagogin unterhielt. Der Salon. Das Mädchen sei nicht gekommen, ob ich etwas wüsste? Nein, wusste ich nicht. Ich versuchte verzweifelt, Gründe, Möglichkeiten, Ausreden zu finden. Die echte Sozialpädagogin sagte: „Das wären jetzt die positivsten Möglichkeiten, die du da aufzählst, aber meistens ist es so, dass sie nicht mehr kommen.“
Und während ich noch überlegte, was zu tun sei und mir erst einmal einen Kaffee machte, um vielleicht besser überlegen zu können, da stand es plötzlich vor meiner Tür, das Mädchen – wofür ich ihm wirklich sehr dankbar bin.
Langweilig sei es gewesen. Acht Stunden nur stehen. Gar nichts durfte es machen, nicht einmal die Puppenköpfe frisieren. So. Langweilig. Und der Auszubildenden sei es nicht besser ergangen. Das könnte es sich nicht vorstellen. Da wäre die Arbeit bei McDonald’s ja wesentlich spannender. Aber du wolltest doch nicht dein Leben lang bei McDonald’s arbeiten…? Aber du hättest durch die Ausbildung doch deinen Hauptschulabschluss erlangen können…? Egal.
Das Mädchen nahm mein Telefon, mit dem ich mir die Finger wund telefoniert hatte, und rief im Friseursalon an um zu sagen, dass sie es sich anders überlegt hätte. Mein Kaffee war kalt. Wir sprachen kurz über eine Ausbildung in der Systemgastronomie (in der Regel nur mit Realschulabschluss möglich, entgegen aller Erwartungen, die man so hat) und dann ging es. Und ich brachte diesen rabenschwarzen Arbeitstag zu Ende.

Juli liest – und das Leben läuft weiter
Was hat das jetzt mit diesem fröhlich-subjektiven Blogazine für Familien, die gerne lesen, zu tun? Eigentlich nichts. Aber eigentlich auch alles. Während ich und die Menschen, die ich kenne, Vorlesen für selbstverständlich halten und sich an hübschen Kinderbüchern erfreuen und später ein wenig über das fehlende Bioessen im Kindergarten oder den Lehrplan in der Grundschule meckern, geht das Leben tausender Kinder und Jugendlicher gerade unaufhaltsam den Bach runter. Ganz gleich, wie wund ich, „Sozialpädagog*innen“ und Sozialpädagog*innen uns die Finger telefonieren. Ganz gleich, wie strömend der Regen ist, durch den wir sie zu Gesprächen begleiten.
Ist das ein Grund, nicht mehr über hübsche Kinderbücher zu schreiben? Nein, ist es nicht. Aber heute ist ein rabenschwarzer Tag. Morgen wird es wieder besser. Und vielleicht lösche ich das dann auch wieder. Aber das musste jetzt einfach mal raus.
An den dunklen und rabenschwarzen Tagen kann man versuchen, wenn man die Kraft dazu hat, für andere zu strahlen… Toll, wie Du Dich kümmerst und sorgst! 🙂
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Hat dies auf Rabenmütter Verlag rebloggt.
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