Die Netzgemeinde liest vor
Hach, wo soll ich bloß anfangen… @Frau Hasenherz ist eine gute Twitter-Freundin von mir, die einen wunderbaren Blog namens 2kinder/küche/bad/balkon hat, der weit über das natürliche Maß von Elternblogs hinausgeht und zeigt, dass man als Mutter auch immernoch denkender Mensch ist – wenn auch die Müdigkeit vielleicht manchmal für müde Gedanken sorgt. Gestern schrieb sie mir, dass sie meinen Blog und dessen Texte so schön strukturiert findet und ich schrieb zurück, dass ich ihre Texte so schön philosophisch finde und das beschreibt vielleicht ganz gut, warum wir uns mögen. Ich war sehr gespannt auf ihre Buchvorschläge und natürlich wurde ich nicht enttäuscht. 🙂
Die Lieblingskinderbücher von @FrauHasenherz
Ich liebe es, den Kindern vorzulesen. Am liebsten lese ich die Petterson & Findus-Bücher von Sven Nordquist, weil ich diese unkonventionellen Lösungen für Alltagsprobleme einfach zum Strahlen schön finde. Aber weil diese Bücher schon jedes Kindergartenkind, das etwas auf sich hält, kennt, nenne ich an dieser Stelle mit etwas Vorfreude meine Geheimtipps, von denen ich glaube, dass sie überraschend genug sind, eine Zeitenbrücke schlagen und verdeutlichen, dass der Zufall echt ein guter Kumpel ist. Vor allem, wenn er im Buchladen/auf dem Flohmarkt neben Dir steht und Dich anstupst.
Schorschi schrumpft
Mein erstes Buch ist ein Preisträger des deutschen Jugendliteraturpreises von 1977 und ich habe es auf einem Bücherflohmarkt gefunden. Meine Ausgabe ist eine von 1976 (keine Sorge, das Buch wurde schon neu aufgelegt vom Diogenes Verlag), ritzegrün und ich hab es damals nur aufgeschlagen, weil den Titel so witzig fand: Schorschi schrumpft, geschrieben von Florence Parry Heide und gezeichnet von Edward Gorey.
Ich kannte damals weder den Zeichner noch die Schriftstellerin, aber schon das erste Bild erweckt in mir eine kühle Vertrautheit. Zusammen mit den ersten Sätzen stellt sich direkt eine Ahnung von der Klarheit ein, mit der nur Kinder durch die Welt gehen, die nicht darüber nachdenken müssen, was sie noch alles zu erledigen haben.

In Schorschi schrumpft schrumpft Schorschi. Schon das Banale dieser Tatsache macht zumindest mich glücklich. Er schrumpft und wird von seinen Eltern und anderen Erwachsenen beiläufig angehalten, es sein zu lassen. Mit dieser durchgehend klaren und aufgeräumten Perspektive in Worten wie in Bildern begleiten wir Schorschi durch seinen Tag bis zurück zum Auslöser seines Schrumpfens und werden hingerissen, von den Dialogen, die Schorschi mit den Erwachsenen führt.
Ein Beispiel:
Als er in die Klasse kam, sagte seine Lehrerin: „Der Kindergarten ist drüben auf der anderen Seite, kleiner Mann.“
„Aber ich bin doch Schorschi“, sagte Schorschi.
„Wenn Du Schorschi bist, warum bist du dann so klein?“ fragte die Lehrerin.
„Weil ich schrumpfe“, sagte Schorschi. „Ich werde immer kleiner.“
„Nun, für heute will ich dir das durchgehen lassen“, sagte die Lehrerin. „Aber sieh zu, dass du dich bis morgen zusammennimmst. In unserer Klasse wird nicht geschrumpft.“
(Aus: Schorschi schrumpft, Diogenes 2008.)
Das Buch findet eine nachvollziehbare Erklärung für das Schrumpfen und überhaupt gibt es in diesem Buch nichts, was nicht wirkt, als wäre es total normal und um Ordnung bemüht. Und genau darin liegt die Magie, denn das, was da passiert, ist komplett unwirklich wenn auch die Reaktionen darauf selbst heute noch vertraut erscheinen.
Meinen Kindern gefällt an dem Buch die Lebenswelt von Schorschi, seine Selbständigkeit und sein Alltag. Mir gefällt an dem Buch abgesehen von seiner Magie dieser Stift, der sich hinter mein Ohr klemmt und mich piekst, wenn einem meiner Kinder etwas passiert ist, was mir banal erscheint, es aber aus Kinderperspektive eben nicht ist. Oder anders herum?
Katz und Fisch
Mein zweiter Büchervorschlag ist ein auch ein Preisträger, allerdings einer des Picture Book Awards des Children Book Council of Australia von 2004: Katz und Fisch, geschrieben von Joan Grant und gezeichnet von Neil Curtis.
Dieses Buch fiel meinem Mann in einem Buchladen bei den Großeltern auf, während ich mit den Kindern rangelte. Das Cover ist grafisch ein absoluter Hingucker: Ein Fisch mit Schirm sitzt in einem Ruderboot und wird von einer Katze durch den Himmel gerudert.

Die Magie dieses Buches besteht in der Einzigartigkeit der Federzeichnungen. In monochromer Übergröße begleiten sich Texte und Bilder ebenso gleichwertig wie Katz und Fisch selbst. Beide leben in eigenen Welten, aber durch ihre Begegnung entsteht etwas ganz Neues und bricht die Komplexität unseres Soziallebens auf einfachste Paramater herunter.
Vor diesem Aspekt eignet es sich hervorragend als Literatur zum Einschlafen. Und weil die Sätze nur so kurz sind aber die Bilder daneben übergroß, verlangsamt sich bei mir wie von allein das Vorlesen, damit wir genügend Zeit haben, die Bilder anzusehen. Ein sehr beruhigender Effekt. Ich nehme es immer wieder gern in die Hand.
Meinen Kindern gefällt an diesem Buch die Freundschaft zwischen zwei Tieren, die aus unterschiedlichen Welten kommen und die trotzdem Freunde werden. So einfach. So wahr. So schön.
Und jetzt möchte ich noch zwei Bücher vorstellen, auf die ich mich schon freu wie eine Biene auf den Sommer.
Zunächst:
Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse
Leute, dieses Buch habe ich als Kind geliebt und seit ich im Vorlesealter bin übe ich, es vorzulesen. Frau Berti Bartolotti bekommt überraschend ein Paket. Sie hat alles in allem keinen vorbildlichen (aber zärtlich beschriebenen) Lebenswandel und erhält mit dem Paket ein Kind, den Konrad. Die sich daraus ergebenden Verwicklungen (Konrad ist immerhin fabrikfertig ausgeliefert worden und so ein dementsprechend perfektes Kind) sind wundervoll.

Es reiben sich Erwachsenen-Erwartungen mit Kinder-Erwartungen, beides nicht immer parallel formuliert, sondern auch gern gegensätzlich. Es reiben sich edgy-Charaktere an Perfektion und es bleibt ein buntes kindlich-schönes Durcheinander.
Ich habe aus dem Buch als Kind gelernt, dass Erwachsene sehr wohl Kinder verstehen können. Und dass es keinen richtigen Weg gibt, sondern nur einen gemeinsamen. Und der muss nicht richtig sein.
Und dann noch ein wirkliches Juwel der Jugend-Fantasyliteratur (ich kenne bisher niemanden, der/die diese Bücher auch kennt):
Alanna – Das Lied der Löwin
(Dazu gehören Die schwarze Stadt, Im Bann der Göttin, Das zerbrochene Schwert und Das Juwel der Macht.)
Diese Bücher habe ich in der Pubertät in die Hände bekommen. Ich war eine Leseratte und hatte bald die Jugendliteratur der Gemeindebibliothek durchgelesen und durfte mir ab und zu ein Buch aus dem Buchladen wünschen. Da ich über keinerlei Überblick verfügte, ließ ich mich durch die Bücherstapel und Regale treiben, während meine Mutter mit dem Besitzer sprach. Die Bücherrücken der vier Bücher zeigen zusammen Alanna auf ihrem Pferd. Ein kämpferisches Mädchen. Sowas hatte ich seit Ronja Räubertochter nicht mehr in den Fingern gehabt. Und dann noch vier Bände, also genug Bücher, die ich mir nachwünschen könnte, wenn es denn schön wäre.

Meine Ausgabe von 1994 ist so gedruckt, dass die Ränder relativ schmal sind und dafür der Zeilenabstand größer als sonst. Und ich kenne mich mit Typen nicht aus, aber auch die Type dieses Buches fiel mir schon als Kind auf. Alles fremd irgendwie…ebenso, wie ein Mädchen, dass sich wirklich als Junge verkleidet um Ritterin werden zu können.
Alanna ist ein Dickkopf von einem Mädchen, das mit ihrem Zwillingsbruder, der keinen Bock aufs Kämpfen hat, die Rollen tauscht, als ihr Vater sie zur Ausbildung wegschickt. Sie beißt sich durch. An ihrer Seite gibt es als einzigen Eingeweihten den Diener, der die beiden Kinder schon aufgezogen hat.
Tamora Pierce ist ein kleiner Epos gelungen, der mich als Mädchen berührt und gefesselt hat. Ich konnte jede der Gefühlsregungen verstehen: Die Wut auf die erste Mens eben so wie die verwirrenden Gefühle gegenüber einem Jungen. Den Wunsch, ernst genommen zu werden ebenso wie den Wunsch, alles hinzuschmeißen. Und der Stolz, wenn eine lange vorbereitete Prüfung gelingt.
Keine Frage, Alanna von Trebond ist ein wunderbares Role-Model. Ich weiß nicht, ob meine Jungs diese Bücher mögen werden. Andererseits: mich hat Harry Potter ja auch angesprochen. Ebenso wie alle möglichen anderen Bücher mit männlichen Hauptrollen. So gesehen: Diese Bücher werden hier im Schrank stehen und ich werde sehen, ob die Jungs sich von dem Mädchen auf dem Pferd ebenso angezogen fühlen werden wie ich damals.