Autor*innen und Illustrator*innen stellen ihr Lieblingskinderbuch vor
Nora Imlau kenne ich – wenn auch nicht persönlich – seit der Geburt von Monsieur 1. Damals (Damals! Vor sieben Jahren!) verschlang ich jeden Elternratgeber und Eltern-Ratgeber und eben durch die Zeitschrift Eltern habe ich Nora Imlau und ihre Artikel kennengelernt. Gefühlt haben wir unsere drei Kinder relativ parallel bekommen (und nach der Lektüre ihres Textes weiß ich, dass es tatsächlich so ist), das verbindet doch irgendwie sehr beim Lesen.
Nora ist ausgewiesene Expertin für Babythemen und schreibt nicht nur als Fachjournalistin für Eltern und Chrismon, sondern hat auch mehrere Elternratgeber veröffentlicht. In der nächsten Woche erscheint ihr sechstes Buch Mein kompetentes Baby, das für alle Eltern eine ungemein befreiende Botschaft in sich trägt: Schaut auf das, was euer Baby kann, anstatt euch ständig zu sorgen, dass ihr etwas falsch macht! Babys gehören zu den meist unterschätzten Lebewesen auf dieser Welt, dabei verfügen sie über genau die Kompetenzen, die sie für ihr Lebensalter beziehungsweise ihren Entwicklungsstand benötigen. Wer auf diese angeborenen Kompetenzen seines Babys vertraut und dadurch dessen Signale richtig deutet, sieht einer entspannt(er)en Babyzeit und einer nachhaltigen Eltern-Kind-Bindung entgegen (mehr zum Thema Attachment Parenting findet Ihr auch auf Nora Imlaus Website).


Nun aber zu den liebsten Kinderbüchern von Nora, die – wie so oft, dafür mag ich diese Rubrik ja so – tatsächlich auch ihre Lebenseinstellung widerspiegeln.
Und was liest du so, Nora Imlau?
Für mich ist das Vorlesen mit das Schönste am Kinderhaben. Als meine Töchter noch ganz klein waren, haben wir viele Stunden damit zugebracht, gemeinsam auf dem Sofa zu sitzen und Bücher anzugucken. Unser mittlerweile völlig abgeliebtes Lieblingsbuch war damals Mach auf – mach zu! von Sabine Cuno mit seinen eingängigen Reimen. Als meine Mädchen dann ins Kindergartenalter kamen liebten sie vor allem Judith Kerrs Bilderbücher von Mog, dem vergesslichen Kater, mit dem sie sich ebenso gut identifizieren konnten wie ich als Kind.
Überhaupt ist das gemeinsame Lesen ja immer auch eine Reise in die Vergangenheit: Gerührt und glücklich packte ich, als meine älteste Tochetr vier war, meine eigene Janosch-Bibliothek wieder aus, und mein Mann las selig lächelnd die Bullerbü-Geschichte von Oles Wackelzahn vor, die er auch nach dreißig Jahren noch praktisch auswendig konnte, so oft hatte er sie selbst vorgelesen bekommen. Auch die Wiedersehensfreude mit Jim und Lukas, Emma und dem Scheinriesen war groß. Und selbst noch ältere Kindergeschichten entpuppten sich als wahre Entdeckungen. So bekamen unsere Kinder von ihrer Ur-Oma ein Kinderbuch von James Krüss geschenkt, aus dem diese vor über fünfzig Jahren meinem Schwiegervater vorlas. Und was soll ich sagen? Die glücklichen Inseln hinter dem Winde, die in den letzten Tagen im Mai 1945 spielen und doch kein beängstigendes Wort über Krieg und Tod verlieren, aber viel von Hoffnung und Freiheit erzählen, begeisterten unsere nun bereits sechs und acht Jahre alten Kinder schwer.
Umgekehrt entdecken wir mit unseren Töchtern natürlich auch neue, moderne Kinderbücher, von denen ich wünschte, ich hätte sie bereits als Kind gekannt. So liebt meine Zweitklässlerin beispielsweise die Bücher über Dunne und ihre beste Freundin Ella Frida der schwedischen Kinderbuchautorin Rose Lagercrantz. Mein glückliches Leben und die drei Folgebände dazu lesen wir beinahe täglich – und weil die Geschichten in so einfacher, schnörkelloser Sprache und gleichzeitig mit so viel Herzenswärme erzählt sind, werden sie auch beim tausendsten Mal nicht langweilig. Das Beste an den Büchern ist aber, dass Dunnes Papa (ihre Mama ist leider schon gestorben) mit seiner kleinen Tochter so umgeht, wie ich mit meinen Kindern auch umgehen will: voller Liebe, aber auch voller Respekt.

Als Dunne beispielsweise der Lehrerin aus Versehen Ketchup ins Auge gespritzt hat und daraufhin einfach aus der Schule abhaut und nach Hause rennt, dort aus Versehen auch noch eine teure Vase runterwirft und sich daraufhin im Kinderzimmer verschanzt und nicht mehr rauskommt – was macht ihr Papa da? Er schimpft nicht, er schreit nicht, er bildet sich nicht vorschnell eine Meinung. Sondern: Er backt erstmal Pfannkuchen. Und dann setzt er sich mit Dunne hin und hört ihr zu. Und als er versteht, warum Dunne so gehandelt hat – denn wenn Kinder sich „schlecht benehmen“ haben sie immer einen Grund – geht er mit Dunne in die Schule und stellt dort klar, dass es ganz sicher nicht Dunne ist, die sich zu entschuldigen braucht.
Was ich hingegen gar nicht vorlesen kann, sind Geschichten, in denen Eltern ihre Kinder total fies erziehen und in denen das auch noch als ganz normal dargestellt wird. Da bin ich knallhart: emotionale Erpressung und andere Gemeinheiten haben in unseren Vorlesestunden nichts zu suchen. In solchen Fällen dichte ich die Bücher entweder spontan um – oder verbanne sie gleich ganz aus unserem Regal.“
Rose Lagercrantz: Mein glückliches Leben. Moritz 2012, ab sechs Jahren, 11,95 €.