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Ein Pop-up-Bilderbuch über blaue alte Männer

Aus der Feder von Giancarlo Macrì und Carolina Zanotti stammt eines meiner liebsten Bücher gegen Vorurteile: Punkte. Deshalb war für mich im Vorfeld eigentlich klar, dass ich ihr neues Bilderbuch Die Mauer auch sofort in diese Rubrik einsortieren würde, doch nach mehrmaligem Lesen habe ich mich nun dagegen entschieden – Die Mauer ist für mich weniger ein Buch gegen Vorurteile, sondern vielmehr ein sehr buntes und gleichzeitig sehr deutliches Plädoyer für Demokratie, das bereits Vorschulkindern klar macht, was passiert, wenn eine*r allein über ein Land bestimmt.

Also: Worum geht es überhaupt? (Blogtexte für Anfänger*innen: Niemals mit dem Fazit beginnen!)

In Die Mauer stellt der blaue König auf einer Reise durch sein Land fest, dass es dort nicht mehr wie früher nur Blaue gibt, sondern dass dort eine ziemlich bunte Gesellschaft lebt: Gelbe, Rote, Grüne, Braune, Violette, Hellblaue und so weiter und so fort. Das gefällt dem blauen König nicht und so befiehlt er, alle Nicht-Blauen fortzuschicken (in diesem Fall: auf die linke Seite des Buches). Aber wie es immer so ist, tummeln sich immer noch ein paar Andersfarbige unter den Blauen und so kommt es wie es kommen musste: Der König lässt eine Mauer bauen, damit keine Bunten mehr in sein blaues Land kommen.

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Auf welcher Seite ist es wohl schöner?

Beziehungsweise: Der König will eine Mauer bauen lassen. Es stellt sich nämlich heraus, dass die Blauen gar keine Mauern bauen können, das machen in der Regel die Roten. Nach und nach fällt auf, dass eigentlich alles, was der König möchte, von Andersfarbigen gebaut werden muss: Straßen, Brunnen, Wege – alles, was man so an Infrastruktur benötigt, inklusive eines Turms, den der König braucht, um auf die andere Seite der Mauer schauen zu können.

Dort oben stellt er fest, dass es auf seiner Seite ziemlich voll ist, da ja fast alle Farben bereits zum Arbeiten herübergekommen sind. Also befiehlt er, die Mauer wieder einreißen zu lassen und freut sich bei seiner nächsten Reise durchs Land, dass alles so schön bunt sei: „Wer war der Esel, der diese Mauer gebaut hat!?“ respektive „Wer war der Esel, der den Brexit propagierte?“ oder „Wer war der Esel, der eine Mauer an die mexikanische Grenze bauen wollte?“ oder… nun, Ihr wisst, was ich meine. Ein sehr aktuelles Buch.

Weshalb ich Die Mauer trotz der vielfältigen Gesellschaft, die am Ende herauskommt, nicht bei den Büchern gegen Vorurteile einordne, ist Euch vermutlich klar – ich sage es trotzdem noch einmal: Mir gefällt an dieser bunten Gesellschaft nicht, dass sie letzten Endes nur entstanden ist, weil der König bzw. das Land sie brauchte. Alle Farben haben ihre Daseinsberechtigung, weil sie etwas Großes leisten: Sie sind die besten Maurer, die klügsten Astronomen, die erfahrensten Bildhauer. Da frage ich mich natürlich: Wo ist Platz für die, die vermeintlich nichts leisten? Und damit meine ich bei weitem nicht nur diejenigen, die eine andere Hautfarbe haben als die meisten im Land, sondern alle anderen, die aus vielerlei Gründen nicht das zu einer Leistungsgesellschaft beitragen können, was diese von ihren Mitgliedern erwartet.

Davon abgesehen finde ich Die Mauer gut und wichtig und illustratorisch großartig gemacht. Es bietet Anlass, mit Grundschulkindern darüber zu sprechen, wer zu einer Gesellschaft gehört (Spoiler: alle). Und man kann anhand dieses Bilderbuches wunderbar darüber diskutieren, was passiert, wenn eine Person alles bestimmt und wie gefährlich es ist, wenn diese Person vollkommen absurde Ideen hat. Besser kann man Demokratie kaum erklären!

Giancarlo Macrì, Carolina Zanotti, Mauro Sacco, Elisa Vallarino: Die Mauer (Übersetzung: TextDoc Kiesel). 360 Grad Verlag, ab 6 Jahren, 16,00 €.


2 Antworten zu „Nieder mit den Autokraten! – Die Mauer”.

  1. Avatar von Bilderbücher mit Gesprächspotential – Juli liest

    […] Olivier Tallec ist bekannt dafür, komplizierte Themen in augenzwinkernde Bilderbücher zu packen. Hier lässt er ein wunderbar mürrisch-witziges Eichhörnchen die gesamte Palette voller Angst, Misstrauen, Missgunst und Einsamkeit durchleben. So dürfte eigentlich jedes Kindergartenkind erkennen, dass Mauern nicht die Lösung sind! […]

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  2. Avatar von Trockenland – Regenland – Juli liest

    […] Trockenland mal wieder nicht auf Anhieb einordnen konnte. Und nun folgt, wie schon bei Die Mauer, eine etwas ausführlichere Rezension. Also wie immer, wenn ich ein Bilderbuch nicht beim ersten […]

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