„Und was liest du so?“ mit Andrea Schomburg
Menschen, die mit Kindern und Literatur zu tun haben, stellen ihr Lieblingskinderbuch vor
Heute wird es lyrisch auf Juli liest – und während ich das schreibe fällt mir auf, dass Lyrik hier als Gattung noch gar keinen Platz gefunden hat… Das ist sehr verwunderlich, denn alle meine Messieurs lieben gereimte Texte! Die aktuellen Lieblingsbücher von Monsieur 3 sind alle in Reimform (auch das fällt mir gerade erst beim Schreiben auf, Verzeihung!) und Monsieur 1 wandelt ja momentan alles in Hip Hop-Texte um (ich berichtete).

123 so kann es gehn, eben waren es noch zehn!
Eines von Monsieur 3’s Lieblingsbüchern stammt aus der Feder von Andrea Schomburg, die bereits Gedichte schreibt, seit sie denken kann. 2007 erschien ihr erster Lyrikband für Erwachsene und seit 2014 schreibt sie auch für Kinder. Neben ihren Auftritten als lyrische Kabarettistin ist Andrea Schomburg auch sonst sehr umtriebig: Im Juni diesen Jahres initiierte sie mit den beiden Autorinnen Jutta Nymphius und Stefanie Taschinski (Funklerwald) das Projekt Elbautoren Kinder – und Jugendbuch. Gemeinsam wollen sie in Hamburg Leseevents und Kinder- und Jugendkulturprojekte starten und sich als Hamburger Kinder- und JugendbuchautorInnen mehr in das kulturelle Leben der Hansestadt einbringen.
Das klingt sehr spannend – und für mich als Kielerin endlich einmal gut erreichbar! 🙂 Ich komme gern vorbei, doch jetzt heißt es erst einmal: Und was liest du so, Andrea Schomburg?
„Ja, was lese ich so? Oder vielmehr, was habe ich so gelesen, als ich Kind war und von meiner Mutter immer wieder den Standardsatz hörte: „Kind, lies nicht so viel! Geh auch mal raus!“
Aber draußen, fand ich, war es halt meistens nicht halb so interessant wie in den Welten, in die meine Bücher mich entführten. Mein erster Lesestoff war ein Schuber mit den Abenteuern des Baron von Münchhausen. Und ab da las einfach alles, was ich geschenkt bekam, was im Bücherschrank meiner Eltern stand, was ich bei meiner Oma fand und was auch nur im Entferntesten für mich geeignet oder auch nicht geeignet war: von Pippi Langstrumpf über stapelweise Karl May bis zu Kalle Blomquist, Emil und den Detektiven, Das große Mädchenbuch in einer antiquarischen Ausgabe von 1910, die man vorsichtig anfassen musste, weil sie sonst auseinanderfiel, sehr gern Gedichte: Wilhelm Busch, Joachim Ringelnatz, Heinz Ehrhardt, sehr früh auch die Erwachsenengedichte von Tucholsky und Erich Kästner, von denen ich ganze Passagen auswendig konnte, auch wenn ich sie, mangels Erfahrungshintergrund, eher weniger verstand… Das große Balladenbuch.
Ich lieh mir Bücher von Freundinnen und Klassenkameraden und brachte sie ausgelesen so schnell zurück, dass die Mutter eines Klassenkameraden nicht glauben konnte, dass ich wirklich so schnell las und mich einem Test unterzog, den ich mit Bravour bestand. Ich las Abenteuerbücher, Märchen von Hauff, Andersen, Brentano, Die Höhlenkinder im Heimlichen Grund, Die Langerudkinder, Bücher über das alte Ägypten, wo ich die katzenköpfige Göttin Basted kennenlernte, sehr gern Bücher über griechische, römische und germanische Götter und Helden, wobei die Göttinnen hernach auf Zeichenpapier verewigt wurden, wie sie, langhaarig und blond, mit ihren Freundinnen auf immergrünen Wiesen tanzten. Ein Buch über Elfen, dessen Titel ich vergessen habe, veranlasste mich dazu, wochenlang die Wiese neben unserem Haus zu beobachten, ob sich nicht doch mal eine Elfe sehen ließe. „Andrea hat einfach zu viel Fantasie!“, seufzte meine Mutter. Kein Wunder, ich verbrachte ja nur so viel Zeit in der Realität, wie ich unbedingt musste…
War es gut, dass ich als Kind so viel gelesen habe? Ja und nein. Ein bisschen mehr Leben und ein bisschen weniger Lesen wäre vielleicht auch nicht schlecht gewesen. Nicht umsonst wahrscheinlich gibt es in dem Kinderroman, den ich gerade schreibe, eine etwas verrückte Tante, der nun schon zum zweiten Mal auf den ersten fünfzig Seiten ihr Lesestoff abhandenkommt und die dies beide Male mit der Aussage quittiert: „Das ist ein Wink des Himmels. Leben statt Lesen, so sieht’s doch aus!“
Aber im Grunde ist das ja gar kein Gegensatz. Lesen und schmökern und Bücher inhalieren, sich freuen, weinen und lachen und mitfiebern mit den Geschöpfen der Phantasie, und dann rausrennen und das eigene Leben leben. Die Bücher warten ja solange auf uns. Immer. Und das ist, bei Leselicht betrachtet, doch eigentlich ziemlich toll.“
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