Juli reist: Hab ne Tante in Marokko (II)
Wir bereiten uns vor mit: Mogador
Ich weiß ja nicht, wie es Euch geht, aber ich liebe es, wenn Geschichten dort spielen, wo ich mich auskenne (wobei mir beim Schreiben dieses Satzes auffällt, dass dies nicht für den Tatort meiner Stadt gilt). Deshalb war ich vollkommen aufgeregt, als im August Mogador von Martin Mosebach im Rowohlt Verlag erschien, denn es zeichnete sich schon ein wenig ab, dass wir die Weihnachtsferien wieder in Essaouira verbringen würden.
Essaouira? Was hat das denn jetzt mit Mogador zu tun?
Machen wir also zunächst einen kleinen Ausflug in die Geschichte dieser kleinen, sympathischen Hafenstadt an der Atlantikküste, deren Stadtmauer manchen vielleicht aus diversen Kreuzfahrer-Filmen wie zum Beispiel Königreich der Himmel bekannt vorkommt. Seit 2013 ist Essaouira ebenfalls einer der Drehorte für Game of Thrones – kein Wunder, bietet es doch mit seiner historischen Stadtmauer, den kleinen Gängen, Gassen und Hinterhöfen sowie der Medina, die 2001 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde, eine fantastische Kulisse!

Der Hafen von Essaouira, früher: Mogador (Marokko)
Des Rätsels Lösung: Vor der Unabhängigkeit Marokkos hieß Essaouira Mogador, ein Name, der auf die Portugiesen zurückgeht. Essaouira bedeutet „von Mauern umgeben“, „die Beschützte“ – warum nun hat sich Martin Mosebach für einen Ortsnamen entschieden, der seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr existiert?
Weil er nicht das heutige, touristische Essaouira zeigen wollte, sondern ein altes, geheimnisvolles und mysteriöses Mogador, in das ein junger Banker eintaucht, um – völlig ungeplant – zu sich selbst zu finden.

Mogador
Patrick Elff, Doktor der Literaturwissenschaft, der es über einen Umweg in der Unternehmensberatung geschafft hat, in einer Investmentbank Karriere zu machen (!), hat – wie vermutlich viele junge und alte Investmentbänker – Dreck am Stecken. Dieser Umstand droht aufzufliegen, als einer seiner Mitarbeiter erhängt aufgefunden wird. Patrick Elff weiß keinen anderen Rat, als direkt vom Polizeirevier ins Taxi zu springen und sich zum Flughafen nach Brüssel fahren zu lassen. Dort besteigt er das nächste Flugzeug nach Marokko, weil er sich dort Hilfe von einem mächtigen marokkanischen Geschäftsmann erhofft: Dieser hatte ihm nach einer illegalen Transaktion zugesichert, dass Patrick Elff etwas gut bei ihm habe.
So verlässt Patrick Elff Europa, seine Bank, seine Freunde und seine Frau, ohne jemandem von ihnen Bescheid zu sagen und taucht ab im verwinkelten Mogador, wo er im Haus der Zuhälterin Khadija Unterschlupf findet – und dabei vollkommen ungeplant zu sich selbst findet. Er, der global player, der wie viele von uns glaubt, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, entdeckt diese erst in dem Mikrokosmos einer marokkanischen Kleinstadt.
Ich fand den Einstieg mit einer minutenlangen Beschreibung des Hamams etwas langatmig und bezweifelte, dass ich Joachim Schönfeld die angesetzten elf Stunden würde konzentriert zuhören können (was nicht an ihm als Sprecher, sondern an der ausufernden Beschreibung lag), doch dann nahm die Handlung schnell an Fahrt auf. Es ist vermutlich eine persönliche Sache, doch ich kann besser folgen, wenn ich weiß, um wen oder was es sich handelt.
Am besten hat mir der Blick Martin Mosebachs auf Mogador/Essaouira/Marokko gefallen. Dieser entspricht so gar nicht dem westlichen Blick, mit dem arabische Länder seit dem 11. September 2001, und auch nicht dem deutschen Blick, mit dem speziell Marokko seit der Silvesternacht 2015 betrachtet wird. Mosebachs Blick ist allerdings auch keineswegs verklärt – er zeigt einfach, wie es sein kann, wenn man nicht einer ganzen Nation ein Klischee überstülpt.
Martin Mosebach: Mogador. Ungekürzte Lesung von Joachim Schönfeld. Argon 2016 (9 CDs, 11 Std.), 24,95 €.
ISBN/EAN: 978-3-8398-1485-7
Sprache: Deutsch
Umfang: 11 Stunden, 15 Minuten 9 CDs in der Klappdeckelschachtel
Erschienen am 27.10.2016