Franz Orghandl, Theresa Strozyk, Kinderroman, Wien, Transgender, Transsexiualität

Ein Transgender-Buch mit Wiener Charme

Zu Der Katze ist es ganz egal gibt es wirklich einiges zu erzählen – beginnen möchte ich damit, dass es bereits auf den ersten drei Seiten ein ganz wohliges Gefühl in mir auslöste und das liegt daran, dass schon im Vorsatzpapier angekündigt wird: „Achtung, diese Geschichte spielt in Wien!“ und dass das, was dann folgt, mich so sehr an die Bücher von Christine Nöstlinger erinnert. Christine Nöstlinger hatte die große Gabe, schwierige Themen in Geschichten zu verpacken, die auch noch viel Raum für Lustiges, Verschrobenes und eben Wienerisches haben und genau dieser Tradition folgen nun auch Franz Orghandl und Theresa Strozyk.

Franz Orghandl, Theresa Strozyk, Kinderroman, Wien, Transgender, Transsexiualität
Der Katze ist es ganz egal, Klett Kinderbuch

In den Büchern von Christine Nöstlinger lassen sich Eltern scheiden, es gibt gruselige Nachbar*innen, Mobbing und Liebeskummer, gleichzeitig muss man beim Lesen immer wieder über die Protagonist*innen und ihre Eigenheiten schmunzeln. Es ist einfach wie im echten Leben: Nicht alles ist schlecht, nicht alles ist super und es gibt definitiv mehr als Schwarz und Weiß.

So auch bei Jennifer, die bei ihrer Geburt von ihren Eltern Leo genannt worden, aber mit ihren neun Jahren nun einer großen Verwechslung auf die Spur gekommen ist – nämlich der, dass sie weder Leo noch ein Junge ist, sondern eben das Mädchen Jennifer. Ihre Familie nimmt diese Erkenntnis zunächst nicht besonders gut auf, insbesondere Papa will davon nichts hören und fühlt sich in seiner männlichen Ehre mehr als gekränkt – warum möchte sein Kind nicht so ein stattlicher Mann werden wie er? Auch Oma und Opa können mit Jennifer wenig anfangen, nur Mama zeigt Verständnis.

Zum Glück hat Jennifer aber ziemlich tolle Freund*innen, die sie in ihrem Tun und auf ihrem Weg unterstützen. Sehr mutig erzählt Jennifer ihnen von ihrem neuen Namen und findet bei ihnen einen Raum, um sich auszuprobieren. Das Ganze mündet in einem turbulenten Nachmittag, an dessen Ende alle – Jennifer, ihre Familie, ihre Freund*innen und sogar ihre Lehrerin – gemeinsam Eis essen. Für den Moment: Ende gut, alles gut.

Für mich ist das schönste an Der Katze ist es ganz egal, dass es sich hier um ein ganz tolles Kinderbuch für das Grundschulalter handelt, das sich von anderen tollen Kinderbüchern nicht unterscheidet: Es gibt keine verschwurbelten Metaphern und keinen erhobenen Zeigefinger, sondern ein Kernthema, um das sich Alltagsdinge wie Center Shoks, gruselige Hausmeister und schwangere Mütter mit Kissen im Kreuz herumgruppieren. Perfekt dazu sind die Illustrationen von Theresa Strozyk sowie die kleinen geletterten Erklärungen für österreichische Begriffe (hier entlang geht’s zur Leseprobe).

Ich vermag nicht zu beurteilen, ob dieses Buch Kindern wie Jennifer, die vor ähnlich großen Herausforderungen stehen, hilft. Doch ich finde es toll, dass sich Der Katze ist es ganz egal in eine Riege richtig guter Kinderbücher einreiht (wie zum Beispiel Forschungsgruppe Erbsensuppe, Helsin Apelsin und der Spinner, Anton & Leyla ermitteln oder Woher ich meine Sommersprossen habe), die zeigen, wie vielfältig das Leben ist: dass es neben Themen wie Fluchterfahrung, Tod oder Autismus auch noch sehr viel Raum für Kaugummis, Detektivgeschichten und Sommerferien gibt. Schön, dass das Thema Transsexualität nun auch vertreten ist!

Franz Orghandl, Theresa Strozyk: Der Katze ist es ganz egal. Klett Kinderbuch 2020, ab 9 Jahren, 13,00 €.


10 Antworten zu „Der Katze ist es ganz egal”.

  1. Avatar von Woidl
    Woidl

    Sehr verdient mit dem Österreichischen KInder- und Jugendliteraturpreis ausgezeichnet! Wir lesen mit den Kids gerade „In den Wald“ von Orghandl und sind schon wieder hochbegeistert 😀 Sämtliche thumbs up!

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    1. Avatar von Juli

      Das muss ich mir direkt angucken!

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  2. Avatar von „Und was liest du so?“ mit Ayşe Bosse – Juli liest

    […] mit dem Kranichsteiner Kinder- und Jugendliteratur-Stipendium (übrigens gemeinsam mit Franz Orghandl). Herzlichen Glückwunsch, liebe […]

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  3. Avatar von Weszna
    Weszna

    Wir liiieben dieses Buch. Wir hatten es für unseren *Sohn gekauft, aber es war im Handumdrehen das neue Lieblingsbuch der ganzen Familie. Mein Mann zitiert ständig daraus! Wäre klasse, wenn da mal ein Film zu rauskäme. Auch eine Fortsetzung würde uns freuen. Wie schön, wenn das Thema Transsexualität so nonchalant transportiert wird.

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    1. Avatar von Juli

      Wie schön!!! Ich finde, die Kinderbücher, die zu Familienbüchern werden, sind die besten! ❤

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  4. Avatar von Sebastian
    Sebastian

    Dieses Buch scheint mir sehr oft unterbewertet, selbst wenn es gut ankommt. Es ist richtig gut geschrieben und um einiges tiefgängiger als die einfache und mundarthafte Sprache vermuten lässt. Ich liebe es als Kinderbuch, aber es ist wahrhafte Literatur, was schon für Erwachsene nicht immer leicht zu finden ist. Es fordert einen auch im sozialen und politischen Denken heraus, weit über das Thema hinaus. Ich hoffe, die Menschen, die es lesen, lesen es mit Tiefgang, so, wie im Kommentar oben! Lieben Dank für die schöne Rezension über ein fabelhaftes Buch und beste Grüße aus München 🙂

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    1. Avatar von Juli

      Hallo Sebastian, genauso habe ich es auch empfunden! Dasselbe habe ich momentan auch bei den Bilderbüchern von Pija Lindenbaum – das muss man erstmal können: Soviel Lebensklugheit in so vermeintlich einfache Sätze zu bringen! Viele Grüße, Julia

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      1. Avatar von Sebastian
        Sebastian

        Super, die muss ich mir gleich mal besorgen. Gute Bilderbücher sind Gold wert, danke für den Tipp! LG, Sebastian

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  5. Avatar von Enie Van
    Enie Van

    Unser Sohn ist als angebliches Mädchen zur Welt gekommen und hat uns bald eines besseren belehrt. Dieses Buch bietet so viele kleine Momente, die die Problematik genau treffen. Man hat das Gefühl, alle werden verstanden, ohne dass irgendjemand dafür fehlerfrei zu sein braucht, inklusive Protagonistin. Der Autor hat keine Angst vor dem Thema, was ganz wichtig ist, und die Geschichte ist weder Kampfansage, noch ein Bitten um Verständnis. Dieses Selbstbewusstsein und dieses Selbstverständnis geben mehr Mut als moralische Aufklärung! Spaß beim Lesen gibt’s noch oben drauf. Natürlich haben wir auch andere Transgenderliteratur im Regal und manches ist ganz gut, anderes wieder nicht. Was uns aber bisher noch nie geboten wurde, ist eine solch gelungene Kombination aus Alltag und Ausnahme. Das Thema wird nicht klein gemacht und doch braucht Jennifer kein Alien zu sein. Wir sind ganz verliebt in die Geschichte und so froh, dass es so ein Buch gibt.

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    1. Avatar von Juli

      Vielen Dank für deinen Kommentar! Man kann sich ja als Rezensentin nur versuchen, hineinzuversetzen. Dein Kommentar zeigt mir, dass ich den richtigen Riecher hatte!

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