Autor*innen und Illustrator*innen stellen ihr Lieblingskinderbuch vor
Lange stehen wir schon in Kontakt – jetzt hat es endlich geklappt (Stichwort: Mütter in der Pandemie) und ich freue mich unheimlich: Heute nimmt Mehrnousch Zaeri-Esfahani auf unserem digitalen Lesesofa Platz und hat eine sehr eindrückliche Geschichte aus ihrer Kindheit mitgebracht.
Doch zunächst möchte ich Euch Mehrnousch natürlich etwas näher vorstellen. Mehrnousch wurde 1974 in Isfahan (Iran) geboren und floh 1985 mit ihrer Familie, zu der auch ihr Bruder Mehrdad Zaeri gehört, nach Deutschland. Heute ist sie Autorin und Referentin, Diplomsozialpädagogin und Moderatorin zur Leitung runder Tische. Da ich ihre beiden autobiographischen Bücher 33 Bogen und ein Teehaus und Das Mondmädchen schon bei Mehrdads Buchtipp gezeigt habe, möchte ich Euch an dieser Stelle Wer weiß, wofür das gut war näher vorstellen, Mehrnouschs letztes Buchprojekt – ein großes Buch mit einer großen Verantwortung, denn es ist die Autobiographie ihres Vaters.



In Wer weiß, wofür das gut war erzählt Hosein Zaeri-Esfahani seine Lebensgeschichte; wie er als Kind einer Kunsthandwerkerfamilie zuerst das Abitur und dann das Medizinstudium meisterte, dann mit seiner Familie den Iran verlassen und in Deutschland komplett bei Null anfangen musste und nun mit 80 Jahren Frieden und Glück in seinem Tun gefunden hat. Zum runden Geburtstag schenkten Mehrnousch und Mehrdad ihrem Vater sozusagen Übersetzung und Illustration und dieser Familiensinn lässt mich ganz sprachlos und ehrfürchtig zurück (hier die Leseprobe).
Auch das Lieblingskinderbuch von Mehrnousch ist eng mit ihrer (Familien-) Geschichte verwoben und deshalb fragen wir jetzt:
Und was liest du so, Mehrnousch Zaeri-Esfahani?
Als du mich fragtest, dachte ich darüber nach, was ich so lese. Beruflich viele Kinder- und Jugendbücher. Und ich liebe die meisten von ihnen. Aber irgendwie war nicht das dabei, was ich vorstellen wollte. Dann fragte ich mich, was ich eigentlich als Kind las. Mir ist klar geworden, dass ich in meiner Kindheit weder etwas vorgelesen bekommen habe, noch selbst etwas gelesen habe. Unsere Familie war eine Familie der Geschichtenerzähler. Alle Erwachsenen waren ständig am Erzählen. Vor allem meine Großmutter war eine begnadete Erzählerin.
Allerdings liebte ich als Kind die Trickfilmserie von Pinocchio. Immer, wenn ich eine Folge schaute, war ich fasziniert, besorgt, verzaubert oder auch erschüttert. Es gab so viel Wut, Angst oder Trauer in mir wegen der Diktatur, wegen des Denunzierens, wozu ich gezwungen wurde, wegen der Grausamkeit der islamistischen Gewalt, wegen des Krieges. Und hier fand ich endlich die Lösung für all meine Gefühle. Ich war nicht von Pinocchio begeistert. Nein, ihn fand ich eher schlecht erzogen, undankbar und einfältig. Ich schaute die Serie nur wegen der guten Fee mit den blauen Haaren. Ich wollte auch eine Fee haben, die mich tröstet oder auch rettet. Später habe ich als Erwachsene mir diesen Wunsch wahr gemacht und habe in meinem Roman Das Mondmädchen der kleinen Mahtab (mein Alter Ego) an die Seite gestellt! Es war wie eine Heilung für meine Vergangenheitsbewältigung!
Nun, irgendwann stellte es sich heraus, dass Mehrdad tatsächlich ein paar Bücher besaß und darunter auch das Buch Pinocchio in persischer Übersetzung. Er schenkte mir das Buch, als ich acht Jahre alt war. Und ich las es viele Male! Es begann mit dem Satz: „Es war einmal…, Du glaubst, ich sage jetzt ein König! Aber nein, es geht in dieser Geschichte nicht um Könige oder Berühmtheiten. Es geht um einen einfach Holzscheit.“


Als wir dann für die Ausreise aus dem Iran die Koffer packen, und ich nur wenige Gegenstände mitnehmen durfte, entschied ich mich für dieses Buch und für ein anderes mit den Biografien berühmter Erfinder. Um das Buch mitnehmen zu dürfen, mussten wir es erst von der Zensurbehörde genehmigen lassen. Medien dürfen das Land nur verlassen, wenn sie 100-prozentig den islamistischen Regeln entsprechen. Dass die Ausfuhr dieses Buches genehmigt wurde, erkennt man an dem Stempel mit dem symbolisierten arabischen Wort „Allah“. Ich war so froh, dass es nicht konfisziert wurde.
Tatsächlich lese ich dieses geliebte Buch in persischer Sprache seit Dezember wieder und ich lese es so gerne. Parallel dazu schaue ich die Originalserie in persischer Sprache. Es macht mir große Freude. Es fühlt sich an, als wäre jetzt alles an seiner richtigen Stelle!
Carlo Collodi: Pinocchio (Übersetzung ins Persische: Shekari). Verlag Arghavan 1981.