Autobiografie, Graphic Novel, Comic, Eiskunstlauf, Eislaufmutter, Coming out, lesbisch, queer

Berührende Autobiographie

Seit Tillie fünf Jahre alt ist, sehen ihre Tage immer gleich aus: Um 4:00 Uhr morgens aufstehen, zum Einzeltraining gehen, danach Schule, dann Gruppentraining – Tillie ist Eiskunstläuferin mit allem, was dazu gehört: dem Haarspray, den kreischenden Müttern, dem durch Neid ständig bedrohten Teamgefühl. Die Wochenenden sind für Wettbewerbe reserviert, regelmäßig bringt Tillie Medaillen nach Hause, jedes Mal überrascht davon, gut genug gewesen zu sein.

Wer jetzt denkt, Pirouetten sei eine klassische Eislauf-Prinzessin-Biographie, irrt. Denn Tillie wird zu diesem Leben nicht gezwungen, es gibt keine Eislaufmutter im Hintergrund, die ihre Tochter zu Höchstleistungen zwingt, kein Auflehnen gegen die Eltern, endlich den eigenen Weg gehen zu dürfen. Tillie hasst das frühe Aufstehen, das Kämmen und Schminken, die Selbstzweifel, die der Eiskunstlauf mit sich bringt, doch gleichzeitig gibt ihr all das auch Halt in ihrer Zeit des Erwachsenwerdens.

Tillie Walden lässt ihre Autobiographie im Alter von zwölf Jahren beginnen, zu diesem Zeitpunkt macht sie bereits seit sieben Jahren Eiskunstlauf, doch es fällt ihr zunehmend schwerer, sich zum Training zu motivieren. Ebenso lang weiß Tillie, dass sie lesbisch ist, ist sich aber bewusst, dass das in der glitzernden Mädchenwelt des Eiskunstlaufs nicht gern gesehen wird, bis zu ihrem Coming Out wird es noch weitere fünf Jahre dauern.

Wenn Tillie Walden gefragt wird, um was es in ihrer Graphic Novel ginge, antwortet sie „Um Eiskunstlauf.“ und doch war sie am Ende selbst überrascht, wie wenig das im Grunde der Fall ist:

In der Highschool haben wir im Englischunterricht ständig von den Intentionen des Autors gesprochen. Und ich habe mich immer gefragt, ob wohl irgendein Autor nichts von all dem hatte sagen wollen, was wir in seinem Werk sahen. Ein Autor, bei dem sich jegliche Bedeutung sozusagen hinter seinem Rücken in das Werk geschlichen hat. Ich denke, dass es bei mir genau so ist.

Tillie Walden: Pirouetten – Nachwort der Autorin

Pirouetten ist eine Coming of age– und Coming out-Geschichte, die sich voll schmerzhafter Selbstreflexion damit auseinandersetzt, was im Leben Halt geben kann, warum es Halt gibt und wie anstrengend es ist, sich neue Wege zu suchen. Als Leser*in kann man die Müdigkeit Tillies förmlich spüren – natürlich ist tägliches Eislauftraining anstrengend, doch Selbstfindung ist es noch viel mehr. Doch es lohnt sich: Am Ende sehen wir eine selbstbestimmte, befreite Tillie, die ihren zunächst diffusen Traum „was mit Kunst zu machen“ in die Tat umgesetzt hat. Das macht Mut und den kann man zwischen 13 und 17 Jahren besonders gut gebrauchen – absolute Leseempfehlung!

Coming out, lesbisch, graphic novel
Tillie Walden: Pirouetten. Reprodukt 2018

Tillie Walden: Pirouetten (Übersetzung: Sven Scheer, Handlettering von Olav Korth). Reprodukt 2018, ab 13 Jahren, 29,00 €.


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Eine Antwort zu „Tillie Walden: Pirouetten”.

  1. Avatar von Kids Comic Week: Alles klar, Dracula – Juli liest

    […] dort spielt auch die Handlung rund um Akssi und ihre Freund*innen. Tief beeindruckt hat mich Pirouetten von Tillie Walden, eine autobiografische Coming-of-Age- und […]

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