Zwei Tore und ein paar Freunde, mehr braucht es doch eigentlich nicht
Regelmäßige Leser dieses Blogs wissen es bereits: In dieser Familie werden Bücher heiß und innig geliebt – aber eben auch Fußball. Ehrlich gesagt verbringen wir seit März/April mehr Zeit auf dem Fußballplatz als lesend auf dem Sofa, doch die Winter in diesen Breitengraden sind ja lang genug, um diese Zeit wieder aufzuholen…
Bevor ich Mutter wurde, hatte ich mit Fußball ungefähr so viel am Hut wie die meisten von uns: Bei den Europa- und Weltmeisterschaften war ich voll dabei, die zwei Jahre dazwischen hatte ich keine Ahnung von Bundesliga, Champions League oder UEFA Cups, mich interessierte nicht, wer wo spielte und Bayern München war immer der Sieger.
Zeiten ändern sich. Seit gut acht Jahren bin ich Mutter, seit etwa vier Jahren nimmt Fußball eine immer größere Rolle in meinem Leben ein. Es gibt Wochen(-enden), an denen sämtliche Aktivitäten um Fußballspiele herum organisiert werden. Regelmäßig stehe ich im strömenden Regen am Spielfeldrand und feuere wahlweise Monsieur 1 oder 2 an, während ich mit einem Auge darauf achte, dass Monsieur 3 nicht stiften geht. Meine am häufigsten genutzte App ist Spieler Plus.

Und nun also die Fußball Weltmeisterschaft 2018, zum ersten Mal sind die beiden großen Messieurs alt genug, um das ganze Brimborium, das so eine WM mit sich bringt, zu realisieren. Die Sammelbildchen, die man erst bekommt, wenn man ein Kilo Schokoaufstrich in sich hineingestopft hat. Die Sorge, dass Boateng nicht rechtzeitig von seiner Verletzung genesen ist. Die Freude, dass Marc-Andre Ter Stegen mit nach Russland fährt. Und natürlich Ronaldo (Monsieur 2) und Messi (Monsieur 1). Fall Ihr irgendwelche Fragen bezüglich der Stars und Nachwuchs-Stars aller teilnehmenden Mannschaften habt: Fragt mich. Hier wird vom Frühstück bis zum Abendbrot über nichts anderes mehr gesprochen.
Wie ich so bin, betrachte ich diesen Fußball-Zirkus natürlich distanziert bis kritisch, auf die alle zwei Tage gestellte Frage „Mama, wen findest du besser, Ronaldo oder Messi?“ möchte ich antworten „Den, der nicht in den Panama Papers zu finden ist!“ (Spoiler: beide stehen drin) und manchmal tue ich das auch. Dieses Trara um Spielerfrauen und Millionen-Verkäufe (Wie kann man 230.000.000, zweihundertdreißig Millionen, für einen Menschen bezahlen, der gut Tore schießen kann? In was für einer Welt ist das möglich? In unserer, tatsächlich.) nervt und stört mich und hat mit „11 Freunde müsst ihr sein…“ irgendwie auch nichts mehr zu tun. Aber von Beckenbauer wollen wir hier ja auch gar nicht anfangen. Seufz.
Wie kriegt man jetzt die Kurve? Zum Beispiel mit so einem schönen Bilderbuch wie Das Spiel, das einen daran erinnert, was Fußball auch bedeuten kann: Freundschaft, Spaß, Bewegung, Freude und Zusammenhalt – und dreckige, glückliche Kinder am Ende eines Tages.

Baptiste Paul ist auf der karibischen Insel Haiti aufgewachsen, als Kind hatte er weder Elektrizität noch fließendes Wasser noch Spielzeug – aber er hatte neun Geschwister und einen Ball. Außerdem ein Futbol-Feld und viele Nachbarskinder, so dass er den größten Teil seiner Kindheit mit Fußball verbrachte. Diese Erinnerungen und Gefühle, die ihn noch heute beim Schauen eines Fußballspiels überkommen, hat er nun in dem Bilderbuch Das Spiel auf Englisch und Kreolisch in Worte gefasst.
Die Illustrationen stammen von der amerikanischen Illustratorin Jacqueline Alcántara, die 2016 einen Preis der We Need Diverse Books Campaign gewann.
Und das kann Fußball eben auch sein: völkerverbindend, weltoffen, lehrreich. Kleine Menschen auf der ganzen Welt jagen verschwitzt und dreckig einem Ball hinterher, jubeln, lassen sich durch nichts aufhalten und kommen erst vom Platz, wenn die Mamas schon dreimal „Vini, abwezan!“* gerufen haben. Das lässt doch die Panama-Papers vergessen.
Annou alé,** bald ist WM!
Baptiste Paul, Jacqueline Alcántara: Das Spiel (Übersetzung: Thomas Bodmer, mit kreolischem Glossar). Nord Süd Verlag 2018, 15,00 €.
*Komm, sofort!
** Gehen wir!