Menschen, die mit Kindern und Literatur zu tun haben, stellen ihr Lieblingskinderbuch vor

Heute konnte ich einen Mann für unsere Lieblingsrubrik gewinnen, der ein spannendes Projekt hinter sich hat: Der Drehbuchautor und Publizist Ingmar Gregorzewski hat gemeinsam mit Ali Mitgutsch – genau, der Ali Mitgutsch, dessen Wimmelbilder aus unser aller Kinderzimmer (und von der Decke über dem Behandlungsstuhl meines Zahnarztes) einfach nicht wegzudenken sind – dessen Biographie geschrieben, die bei dtv erschienen ist.

Herzanzünder erzählt von der Kindheit und Jugend Ali Mitgutschs, der 1935 als jüngster Sohn einer alteingesessenen Münchner Familie zur Welt kam und somit direkt in die Kriegswirren hineingeboren wurde: Nächte im Luftschutzbunker, der Anblick der Ruinen, wenn man wieder hinauskam, die Todesangst und dann die Evakuierung nach Schwabing – dies alles bestimmte Ali Mitgutschs Kindheit. Doch das, was man heutzutage Resilienz nennt, rettete ihn durch diese Zeit. Mit Fantasie und Humor überlebte Ali Mitgutsch diese schweren Jahre und machte die Trümmerlandschaft von Schwabing für sich zu einem riesigen Abenteuerspielplatz.

Ich bin der Meinung, dass man diese Einstellung zum Leben auch in seinen Wimmelbüchern erkennt, die niemals nur kindgerecht seicht daherkommen, sondern auf unnachahmliche Weise Freud und Leid Auf dem Lande oder Rundherum in meiner Stadt zeigen. Wie spannend muss es für Ingmar Gregorzewski gewesen sein, seinem langjährigen Freund Ali Mitgutsch bei seinen Erzählungen zuzuhören und diese zu Papier bringen zu dürfen! (*notiert neuen Berufswunsch: Biografin*)

Jetzt hören wir jedoch erst einmal Ingmar zu, der in seinem Buchtipp vollkommen zurecht eine Lanze für die Übersetzer bricht. Und was liest du so, Ingmar Gregorzewski?

„Es ist sehr schwer für mich, bei Büchern nur eines, zwei oder drei oder selbst hundert Lieblingsbücher zu nennen. Das gilt auch für Kinderbücher. Aber ich nehme gerne die Gelegenheit wahr, um ein wenig Aufmerksamkeit auf Autoren zu lenken, die auch bei Kinderbüchern zwangsläufig in der zweiten Reihe stehen müssen: die Übersetzer. Auch Übersetzer üben eine starke schöpferische Tätigkeit aus, ohne die der Originalautor mit seinem Stoff nicht über seine Sprachgrenze hinaus käme und sein Buch nicht den vollen verdienten Erfolg bekäme.

Stellvertretend für alle Übersetzer möchte ich an dieser Stelle die Autorin Mirjam Pressler nennen. Eigentlich kann man jeden Titel von ihr nicht hoch genug loben. Auch die Tagebücher von Anne Frank hat sie neu aus dem Niederländischen übersetzt. Ein Buch, das man in seinem Leseleben nicht früh genug lesen kann.

Jetzt denkt ihr vielleicht, Kinderbücher, z.B. in Englisch, die verstehe ich, sind ja für Kinder, das ist doch leicht zu übersetzen, selbst wenn man nur ein bisschen Englisch kann. Aber wie viel man aus einem Text durch Übersetzung in eine andere Sprache herausholen kann, möchte ich am Beispiel des kleinen Büchleins Room on the Broom von Julia Donaldson und Axel Scheffler zeigen, die den legendären Grüffelo geschaffen haben. Room on the Broom (deutsch: Platz auf dem Besen) wurde nämlich auf unglaublich zauberhafte Weise von Mirjam Pressler unnachahmlich übersetzt und heißt nun auf Deutsch: Für Hund und Katz ist auch noch Platz.

Axel Scheffler, Julia Donaldson, Miriam Pressler, ab 4, vorlesen, lesen, Bilderbuch
Für Hund und Katz ist auch noch Platz, Beltz&Gelberg 2016

Schon der Anfangsvers im Original von Julia Donaldson macht Tempo und neugierig:

„The Witch had a cat

and a hat that was black,

And long ginger hair

In a braid down her back.

How the cat purred

and how the witch grinned,

As they sat on their broomstick

and flew through the wind.”

Jetzt Augen und auch Ohren auf, was Mirjam Pressler daraus gemacht hat:

„Die Hexe will eine Reise machen,

drum packt sie ihre Siebensachen,

Hut, Zauberstab und Zaubertopf

und eine Schleife für den Zopf.

Die Katze hat sie auch dabei,

zusammen sind sie also zwei.

Geschwinde, geschwind

bläst sie der Wind.“

Zieht man jetzt noch die dazugehörige Abbildung von Axel Scheffler in Betracht, die ihr hier auf dem Umschlagbild seht, ist gleich klar, dass sich Frau Pressler mit dem vorgegebenen Stoff nicht selbständig macht, sondern sich an die vorgebende Partitur hält, aber einfach die Instrumente neu stimmt (um in dem Bild aus der Musik zu bleiben). In ihrer Übersetzung heben wir ab zu einer Reise, nichts kann uns mehr aufhalten. Aber wir ahnen bereits, vieles im Fortgang der Geschichte könnte auch schiefgehen. Und was dann letztendlich schiefgeht, hat es in sich, sprachlich liebevoll und mit reichlich Humor von der Übersetzerin in Szene gesetzt, ohne die Originalautoren zu verraten.

Für Hund und Katz ist auch noch Platz ist eines der Kinderbücher, die ich sehr liebe. Dafür danke ich auch Mirjam Pressler ganz doll.“


6 Antworten zu „„Und was liest du so?“ mit Ingmar Gregorzewski”.

  1. Avatar von „Und was liest du so?“-Spezial: Drei Bilderbuchklassiker feiern Jubiläum – Juli liest

    […] Ingmar Gregorzewski: Mein großer Kinderbuchfavorit ist und bleibt der Grüffelo. In Anlehnung an einen Ausspruch von Ali Mitgutsch würde ich sagen, gute Kinderbücher zeigen keine heile Welt, sondern eine heilbare. Ohne kindisch zu sein spielen diese Geschichten, die uns unvergessen bleiben, mit allen wichtigen Facetten unserer Seele: Liebe, Angst, Mut und Humor. […]

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  2. Avatar von Lesen... in vollen Zügen

    Ich bin ja auch ein großer Fan der Scheffler/Donaldson Bücher.
    Mein Favorit (und der meines Kleinsten) ist „Die Schnecke und der Buckelwal“. 🙂


    https://polldaddy.com/js/rating/rating.js

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    1. Avatar von Juli

      Ich mag auch sehr, sehr gerne Stockmann und Flunkerfisch!

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      1. Avatar von Lesen... in vollen Zügen

        Stockmann ja, bei Flunkerfisch finde ich zwar die Illustrationen mit am Schönsten, aber die Reime holpern im Deutschen schrecklich. Zum Vorlesen ist das keine Freude, weil man ständig aus dem Rhythmus kommt.

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      2. Avatar von Juli

        Wir haben das als Hörbuch – vielleicht muss man da eher Profi sein! 😉

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      3. Avatar von Lesen... in vollen Zügen

        Vielleicht… Ich stolpere immer durch die Reime wie ein Blinder durch den Wald. 😉

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