Anna Maria Praßler, Kinderbuch, Kinderroman, Corona, ab 9, Berlin, lesen, Grundschule, vorlesen

Ein Corona-Kinderroman

Wir befinden uns in einem Berliner Mehrfamilienhaus im März 2020. Die Coronapandemie hat Deutschland fest im Griff, Lockdown, Schulausfall, Abstandsregeln und Einschränkungen im Job sind noch vollkommen neu für Erwachsene und Kinder und alle wurschteln sich irgendwie so durch. Auch Maya und ihre Familie, bestehend aus Papa (durch Corona arbeitslos gewordener Kameramann), Mama (Oberärztin im Krankenhaus), ihrer kleinen Schwester Odette (fasziniert von Viren) und Kaninchen Hannibal. Als Letzterer verschwindet, beginnen für Maya die Hinterhoftage – woanders darf man ja während des Lockdowns auch nicht hin, was die Suche nach einem Kaninchen nicht gerade erleichtert.

Anna Maria Praßler, Kinderbuch, Kinderroman, Corona, ab 9, Berlin, lesen, Grundschule, vorlesen
Hinterhoftage, Klett Kinderbuch 2021

Für Maya beginnt dadurch eine spannende Zeit: Statt Langeweile-Lockdown im Zimmer muss sie immer wieder neue Wege finden, um Hannibal zu finden. Zum Glück erhält sie dabei sehr schnell Hilfe von Niko aus dem Hinterhaus, der in der Klasse eigentlich immer zu cool war, um mit jemandem zu sprechen. Gemeinsam observieren sie verdächtige Nachbar*innen und malen Suchplakate und dabei stellt sich heraus, dass Niko gar nicht zu cool für Hausaufgaben etc. ist, sondern in der kleinen Wohnung im Hinterhaus mit seiner Mutter und den beiden kleinen Geschwistern einfach wenig Zeit und Raum für sich hat. Der Untertitel verrät im Grunde schon das Ende: Maya und Niko werden Freunde und der obligatorische Corona-Sauertag, hingebungsvoll von Odette gehegt und gepflegt, überlebt das alles leider nicht. (Hier entlang geht’s zur Leseprobe.)

Hinterhoftage ist mein bis dato liebster Kinderroman über die Coronazeit, denn Anna Maria Praßler schafft es, wirklich alles in ihm unterzubringen, ohne die Geschichte zu überfrachten. Da ist zum einen die Coronazeit: Sauerteig, übervorsichtige Eltern, Verschwörungstheoretiker*innen im Treppenhaus, Regenbogen auf Fenstern, Alltagsrassismus, Schulapps, Isolation, Arbeitslosigkeit, Lernlücken, Überlastung und ständig hungrige Kinder – nahezu jede Familie wird sich in der Erzählung dieser Zeit wiederfinden. Anna Maria Praßler arbeitet akribisch und empathisch heraus, was Corona für Kinder und Senior*innen, Eltern und Kassierer*innen, Ärzt*innen und Kreative, Einsame und Familien bedeutet.

Die Diversity-Komponente „Soziale Herkunft“ – noch allzu oft stiefmütterlich behandelt – hat dadurch einen besonderen Stellenwert in Hinterhoftage: Durch die Vielfalt der Mieter*innen des Berliner Mehrfamilienhauses wird nicht nur Maya bewusst, wie unterschiedlich sich die Pandemie auf die Menschen auswirkt: Es ist etwas anderes, ob sie und ihre Schwester in ihren eigenen Zimmern an ihren eigenen Schreibtischen Fernunterricht absolvieren, oder ob Niko sich ein Zimmer mit seinen kleinen Geschwistern teilen muss, während seine Mutter Extraschichten im Supermarkt schiebt. Es ist auch für Mayas atheistischen, aus dem Balkan stammenden Vater erschreckend, wenn der Nachbar plötzlich „die Moslems“ für alles verantwortlich macht – und auch ihn damit meint.

Hinterhoftage fängt die Stimmung des ersten Corona-Lockdowns realistisch und facettenreich ein und hilft nicht nur Kindern, diese anstrengende Zeit zu verarbeiten. Für Familien bietet es eine Menge Gesprächsanlässe, um sich darüber auszutauschen und gleichzeitig ist es auch einfach ein spannender Kinderroman – denn wo zum Teufel steckt eigentlich Hannibal? Kurzum: Absolute Leseempfehlung!

Anna Maria Praßler: Hinterhoftage – Wie ich Hannibal verlor, einen Freund gewann und der Sauerteig das alles nicht überlebte. Klett Kinderbuch 2021, ab 9 Jahren, 15,00 €.



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