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Selbstfindung, Gesellschaftskritik und ein Mord im winterlichen London

Cassandra Darke ist eine nach eigenen Angaben alte, fette Frau Mitte 70 und während ich das schreibe, fällt mir auf, wie selten mir diese Charakteristika bei Hauptfiguren in Filmen, Romanen und Graphic Novels begegnen. Nun: Ich würde noch „unzufrieden“ und „einsam“ hinzufügen und dann hätten wir Cassandra eigentlich schon ganz gut beschrieben.

Cassandra Darke ist geschieden und lebt allein, seitdem ihr Ehemann vor dreißig Jahren mit ihrer Stiefschwester zusammen gekommen ist. Nichtsdestotrotz übernimmt sie seine Galerie, die sie beide früher gemeinsam geführt haben, als er an Alzheimer erkrankt. Obwohl Cassandra in großem Wohlstand lebt, beginnt sie damit, Fälschungen zu verkaufen, wofür sie im Dezember 2016 vom Gericht verurteilt wird.

Das schmälert Cassandras Reichtum aber noch immer nur in dem Maße, dass sie ihr Haus in Frankreich verkaufen sowie Fahrer und Köchin entlassen muss. In der Londoner Kunstwelt geächtet, fristet sie nun ein ziemlich einsames Dasein mit Fast Food und Rotwein, jedoch immerhin im eigenen Haus im noblen Chelsea und mit einem Kunstbuch-Projekt.

Cassandras Leben gerät durcheinander, als sie Nicki, die Tochter ihres Mannes und ihrer Stiefschwester, bei sich wohnen lässt und die beiden unverschuldet in einen Mordfall verwickelt werden, der letztendlich Cassandras Blick auf sich selbst ändert.

Cassandra Darke
Cassandra Darke, Reprodukt

Die herrische und überhebliche Cassandra wird durch die Ereignisse geläutert und söhnt sich sogar mit der eigenen Familie aus – also wird es am Ende doch noch ein wenig weihnachtlich-besinnlich.

Neben Kriminalfall und Selbsterkenntnis hat die Autorin Posy Simmonds einen weiteren interessanten Erzählstrang in ihr Comic eingewoben: den Generationenkonflikt. Cassandra und Nicki haben beide Kunst studiert – nur ist die eine 74 und die andere knapp 30 Jahre alt. Während Kunst für Cassandra gleichbedeutend mit Picasso, Ming-Vasen und Kunstauktionen ist, sieht Nicki in ihr einen gesellschaftskritischen Auftrag: Mit Nickis Fotoreihe von Pappen, auf denen Obdachlose schlafen, kann Cassandra absolut nichts anfangen – trotzdem fallen sie ihr plötzlich auf, als der Mordfall sie in ein armes Londoner Viertel verschlägt. Wie gesellschaftskritisch Nicki, die immer sehr weich in den Schoß ihrer wohlhabenden Familie fällt, tatsächlich ist, sei mal dahingestellt – spannend ist dieser eingewobene Diskurs über den Wert von Kunst allemal.

Cassandra Darke ist spannend, witzig und kritisch – also genau die richtige Mischung für alle, die gern passend zur Jahreszeit lesen, aber dabei auf rotnasige Rentiere und weihnachtliche Heile-Welt-Geschichten verzichten möchten!

Posy Simmonds: Cassandra Darke (Übersetzung: Sven Scheer). Reprodukt 2019, 24,00 €.


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