Ein paar Gedanken über das Mädchen mit der Schleife im Haar (und ihre Freunde)
Ich und die anderen Eltern meiner Filterblase sind uns einig: Conni geht gar nicht! Dieses Mädchen, das ein Hobby nach dem nächsten ergreift, jedes Fußballturnier, jede Ballettaufführung, jeden Schwimmwettbewerb meistert und sogar jede verdammte Pizza mit Bravour belegt, nervt uns so sehr, dass auf Twitter regelmäßig Hashtags wie #darkconni auftauchen, unter denen man sich ordentlich Luft machen kann.
Denn Conni nervt wirklich! Nicht nur ihr scheint alles zu gelingen, auch ihren Eltern wurden Nachsicht, Verständnis und Geduld in die Wiege gelegt – was wirklich so ist, das wird mir jeder bestätigen, der gesehen hat, wie Connis Oma ihr mit einer Engelsgeduld einen ganzen Tag lang das Lesen der Uhrzeiten beibringt. Connis kleiner Bruder Jakob sorgt ab und an für den notwendigen Trubel („Jakob! Jetzt hast du dich ja vollkommen mit Mehl eingestaubt!“), doch ansonsten ist das Leben von Familie Klawitter gezeichnet von Harmonie, Lernen und Leistungsbereitschaft. Natürlich nervt uns das!

Conni und Co
Aber Conni hat auch nervige Brüder und Schwestern im Geiste – allen voran den ewig einschlummernden Bobo Siebenschläfer. Wen ich aber auch noch mit in den Sack werfe: Die Olchis. Den kleinen Drachen Kokosnuss. Käpt’n Sharky. Lauras Stern. Den kleinen Raben Socke. Und – ja, es tut mir leid, ja, ich lese ihn auch gern mit verstellten Stimmen vor – den Grüffelo.
Natürlich benehmen sich die Olchis ganz und gar nicht wie Conni und ihre Familie. Und sowohl der kleine Rabe als auch Drache Kokosnuss sind ebenfalls ganz schön frech. Warum werfe ich dann trotzdem alle in einen Topf? Einfache Antwort: Merchandising. Abgesehen vom Grüffelo, von dem es meines Wissens lediglich zwei Bände gibt, werden von den oben genannten Kinderbuchreihen ausschließlich weitere Ausgaben produziert, um den gesamten Merchandising-Kram an den Mann beziehungsweise an das Kind zu bringen. Und es liegt auf der Hand, dass die Qualität der Geschichten da einfach irgendwann auf der Strecke bleibt, zwangsläufig.
Ich selbst habe diesen Blog unter anderem ins Leben gerufen, um die Schätze an Kinder- und Bilderbüchern hinter den großen Drache-Kokosnuss-Aufstellern, den Rabe-Socke-Freundebüchern oder Conni löst einen kniffligen Fall (Ja, gibt es wirklich. Nein, ich verlinke nicht.) zu zeigen. Weil ich der Meinung war und bin, dass sowohl die Buchläden als auch der Onlinehandel und ebenso die Verlage selbst ihren Fokus beinahe ausschließlich auf diese geldbringenden Kinderbuchreihen legen und Eltern, Großeltern und andere Schenkende dadurch kaum Chance haben, die hochwertigen Kinderbücher mit ihren tollen Geschichten und grandiosen Illustrationen überhaupt zu finden. Geschichten, die darüber hinausgehen, dass Alltagsprobleme gelöst werden, Geschichten, die ihren Lesern einen Blick über den Tellerrand ermöglichen – den kleinen wie den großen.
Das Dilemma
Doch seit ich diesen Blog schreibe und mich noch mehr mit Kinderliteratur befasse als ich es vorher tat, stecke ich in einem Dilemma: Ich habe herausgefunden, dass es sie geben muss, die Olchis, die Käpt’n Sharkys und die Connis dieser Welt. Sie sind es, die den Verlagen das Geld bringen – denn verkauft werden diese Reihen ja wie geschnitten Brot. Ich frage mich ernsthaft, von wem, weder online noch offline kenne ich Eltern, die gerne von Connis Seepferdchenprüfung oder von Leo Lausemaus‘ Geburtstagsfeier vorlesen, doch die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Diese Bücher werden am häufigsten gekauft.
Nun kann man sagen: „Ja, natürlich wollen sowohl Verlage als auch Handel Geld verdienen, das ist doch nichts Neues!“ Nein, ist es nicht. Was mir allerdings bis vor kurzem nicht bewusst war, ist die Tatsache, dass die Verlage mit diesem Geld die Bücher für Kinder produzieren, die ich so mag – eben die mit den tollen Geschichten und wunderschönen Illustrationen. Die Bücher, die seltener gekauft werden.
Der cbt Verlag, der 2001 im cbj Verlag (Der kleine Drache Kokosnuss) zunächst als Taschenbuchverlag für Jugendliche gegründet wurde und vieles unter dem Schlagwort „Romantasy“ veröffentlicht (eine Gattung, die sich mir in diesem Leben vermutlich nicht mehr erschließen wird) erhielt in diesem Monat den Jugendliteraturpreis für Das Mädchen Wadja, der Preis der Jugendjury ging an Sommer unter schwarzen Flügeln aus dem Oetinger Verlag (Die Olchis). Und auch kleine Verlage wie der wunderbare Nord Süd Verlag benötigen jemanden wie den Regenbogenfisch, der immer und immer wieder neue Abenteuer erlebt um 128-Seiten starke Bilderbücher wie Armstrong oder das für den Jugendliteraturpreis nominierte Sachbuch Shackletons Reise zu verlegen.
Hauptsache lesen!
Und der Carlsen Verlag, Connis Zuhause, was macht der? Auch dieser hat natürlich schon über hundertmal den Deutschen Jugendliteraturpreis erhalten (unter anderem für Schneeriese von Susan Kreller), doch hier möchte ich auf etwas anderes hinaus: Der Carlsen Verlag arbeitet seit Jahren eng mit der Stiftung Lesen zusammen, die durch verschiedenste Initiativen und Aktionen wie den Vorlesetag allen Kindern die Freude am Lesen vermitteln und nahe bringen möchte. Und damit sind wir auch schon bei meinem Dilemma Nummer zwei.
Ist es nicht besser, wenn ein Kind Conni oder Leo Lausemaus vorgelesen bekommt, anstatt dass nichts vorgelesen wird? Und ist es nicht besser, wenn in der Grundschule die Klassenlektüre aus den Olchis besteht, bevor die Hälfte der Klasse die Lust verliert? Ich denke, ihr stimmt mir zu wenn ich sage: „Hauptsache lesen!“, oder? Lesen ist besser als nicht lesen, das ist doch klar. Also warum nicht beide Augen zudrücken, wenn manche Kinder nur lesen wenn sie Conni zum Reiten, Fußball oder Ballett begleiten dürfen?
Enid Blyton und ich
In meiner Kindheit gab es eine längere Phase, in der ich alle Bände von Hanni & Nanni, Dolly und der Geheimnis um…-Serie las (Conni löst einen kniffligen Fall erinnert mich stark daran – ohne es gelesen zu haben). Aus diesem riesigen Enid Blyton-Fan ist eine Literaturwissenschaftlerin geworden, einen gewissen Sinn für Literatur kann man mir also nicht absprechen. Das liegt vielleicht aber auch daran, dass in meinem Bücherregal ebenfalls starke und differenziertere Mädchenbücher wie Gretchen Sackmeier oder Oh du Hölle – Julias Tagebuch von Christiane Nöstlinger oder Lady Punk von Dagmar Chidolue standen. So wie ich als jüngeres Kind gleichzeitig Benjamin Blümchen und dem kleinen Ich-bin-ich gelauscht hatte, zog sich dies bis ins Jugendalter hinein fort. Später wurde ich ein großer Fan der dtv-Taschenbücher, von denen mir nur noch der Titel Keine Pizza mehr für Ellen in Erinnerung ist – alles Bücher, die sich mit dem Erwachsenwerden beschäftigten, und zwar einem Erwachsenwerden ohne Internat, Mamsell und Mädchenstreiche, dafür mit geschiedenen Eltern, erstem Liebeskummer und anderen Sorgen.
Was ich damit sagen möchte ist nicht, dass man unbedingt Literaturwissenschaftlerin werden muss (das würde ich auch eigentlich niemandem raten, die Berufsfindung gestaltet sich etwas schwierig). Ich möchte sagen, dass das eine meist nur durch das andere existieren kann – wirtschaftlich betrachtet. Und dass in einem familiären Bücherregal beides koexistieren kann.
Lesepaten gesucht!
Dafür braucht man Menschen, die dafür sorgen, dass das Bücherregal immer wieder neu gefüllt ist – mit guten Geschichten, die dir Tore in neue Welten öffnen, mit tollen Illustrationen, die dich inspirieren und zum Träumen bringen. In meinem Fall war das meine Mutter. Es kann aber auch genauso gut ein/e Bibliothekar/in, Erzieher/in oder Lehrer/in sein, die Kinder für das Lesen begeistern.
Und dann kann man zwischendurch auch ein bisschen die olle Conni aushalten, oder? 😉